Das gesprochene Japanisch hat, was das Lernen betrifft, im Vergleich zum Deutschen einige Vorteile: Es gibt keine Fälle, keinen Plural und nur zwei Zeiten. Fehleranfällige Satzteile wie Artikel und Präpositionen gibt es nicht. Stattdessen existiert eine handvoll Partikel, hinter Wörter gehängte Silben, die z. B. ein Objekt, eine Bewegung oder eine Frage anzeigen. Zwar sind Partikel, vor allem in langen Satzkonstruktionen, eine Wissenschaft für sich, weil sie oft mehrere Bedeutungen haben, aber in normalen Alltagssituationen komme ich mit gesprochenem Japanisch mittlerweile gut zurecht.
Die Schwierigkeit beginnt bei der Schrift. Genaugenommen werden im Japanischen
fünf Alphabete verwendet:
Die erste Frage, die man sich als Japanischneuling stellt ist natürlich:
Warum soll man sich die Mühe machen, 2.000 Kanji zu lernen, wenn man doch
alles in Hiragana schreiben kann? Das Problem sind die japanischen Wörter.
In Japan gibt es keine Trennung zwischen Vokalen und Konsonanten, sondern nur
46 feste Silben (ka, ki, ku, ke, ko; ha, chi, fu, he, ho, etc), sowie einige
wenige Modifikationen. Die europäischen Sprachen können dagegen mit
ihren Kombinationen aus Vokalen und Konsonanten viele hundert verschiedene
Silben bilden. Es gibt also, will man nicht unendlich lange Wörter bilden,
ein Problem mit der Informationsdichte.
Die Chinesen haben dieses Problem dadurch gelöst, dass jede Silbe auf etwa
sechs verschiedene Weisen betont werden kann, in Japan gibt es eine solche
Lösung nicht. Die Folge: viele Begriffe werden gleich ausgesprochen. Man
muss tatsächlich manchmal raten. Beispielsweise hat das Wort SEI im
japanischen zwölf, z. T. grundverschiedene Bedeutungen. Was machen nun
Japaner, die sich gerade über ein System (SEI) zur Herstellung (SEI) von
Produkten (SEIHIN) für Leute mit grossem Körperbau (SEI) unterhalten?
Sie sind gezwungen, die Schrift zu Hilfe zu nehmen. Gelegentlich sieht man, wie
zwei miteinander angeregt diskutierende Japaner Zeichen in die Luft oder auf
die Handfläche malen, um dem Gegenüber die Bedeutung ihrer Worte zu
erklären! Auch im Fernsehen werden zur Unterstützung des gesprochenen
Wortes gelegentlich die passenden Kanji eingeblendet. Man kommt also um die
Kanji nicht herum. Allerdings lauern viele Probleme auf den, der auszieht,
diese Schrift zu lernen.
Da ist zum einen die Aussprache. Man sieht sie dem Kanji ja nicht an, also muss
man sie mitlernen.
Ärgerlicherweise haben die Japaner beim Import der Kanjis zur Anreicherung
der eigenen Sprache auch gleich noch die chinesische Aussprache mit
übernommen. Zu jedem Kanji gibt es also mindestens zwei Aussprachen,
sogenannte "Lesungen", die sich vollkommen unterscheiden. Meistens sind es um
die vier Varianten, die man zu lernen hat. Leider sieht man einem Kanji auch im
Textzusammenhang nicht sofort an, wie es gerade ausgesprochen werden soll.
Steht das Kanji alleine, ist die Chance zwar gross, dass es die japanische
Lesung (KUN, die chinesische heisst ON) ist, da die meisten Kanjis aber im
Zusammenhang mit anderen stehen, ist man auf sein Gefühl angewiesen.
Manchmal sind auch beide Lesungen erlaubt, haben dann aber unter Umständen
leicht unterschiedliche Bedeutungen.
Ein kleiner Trost: Wenn man einen Text nicht laut vorlesen muss, ist die
Aussprache ja meistens egal. Dann kann man dank der Kanji - auch wenn man nicht
alle kennt - zumindest recht zügig erfassen, worum es geht. Das gilt
übrigens auch für Chinesisch, das ich in Singapur z. B. von Schildern
zwar nicht VORlesen, aber rudimentär verstehen konnte.
Neben den Lesungsarten und den Bedeutungen, die ein Kanji haben kann, muss man
natürlich noch die genaue Strichreihenfolge im Kopf haben, sofern man ein
Kanji schreiben möchte.
Wie schafft man all das? Der Aussenstehende mag vermuten, dass es eine nicht zu
bewältigende Sysiphusarbeit ist, der Sprachschüler weiss es.
Allerdings ist es nicht so, dass es gar keine Ordnung gäbe. Jedes Kanji
besteht aus Grundzeichen, die meistens auch - allein geschrieben - eine eigenen
Bedeutung haben. Von diesen Grundzeichen ("Radikalen") gibt es 176. Eines
dieser Grundkanjis ist z. B. im Wort für "Japan" vorhanden:
NIHON (bzw. NIPPON) besteht aus dem Zeichen
Das sind so ziemlich die einfachsten Radikale, die es gibt, viele sind weit
komplizierter. Nach ein paar Monaten hat man aber ein Gefühl dafür
entwickelt, aus welchen Radikalen ein Kanji besteht. Das hilft einem dann
weiter, wenn man im Wörterbuch nachschlagen muss, denn auch das ist eine
Wissenschaft für sich. Die Sortierung nach Aussprache würde nicht
viel bringen, weil man die ja meistens nicht kennt. Es gibt daher zwei
Klassifizierungssysteme. Zum einen nach Radikalen, zum anderen nach
Strichanzahl. Das Strichezählen ist aber auch so eine Sache.
Ein Viereck
, Bedeutung "Mund", Lesungen KUCHI, KOU und KU (übrigens auch ein
Radikal), wird z. B. so geschrieben: linker Rand (von oben nach unten), dann
oberer Rand und rechter Rand in einem Strich, dann unterer Rand (von links nach
rechts). Folglich: drei Striche.
Wer will, kann ja mal versuchen herauszufinden wie
(EKIIN), das Wort für Bahnhofsangestellter, geschrieben wird. Es besteht
aus dem Kanji
An den obigen Beispielen hat man gesehen, dass aus den Radikalen meist keine Bedeutung geschlossen werden kann. Es gibt zwar einige besonders leicht zu merkende Kombinationen, wie z. B. das Zeichen SUKI für "mögen", das links aus dem Radikal für Frau (ONNA, ME, JOU, NYO) und rechts aus dem Radikal für Kind (KO, NE, SHI, SU, TSU) besteht (Regel: Frauen MÖGEN Kinder). Abstrakte Begriffe kann man sich aber nur über merkwürdige Eselsbrücken merken, die man dann meistens durcheinanderschmeisst:
Wer würde z. B. bei einer Frau im Haus, , nicht sofort an ein teures Vergnügen denken? Es bedeutet aber neben "Frieden" und "Ruhe" vor allem "billig"!
Wer diese Schwierigkeiten kennt, versteht, dass selbst Japaner nicht alle 2.000
Kanji memorieren können und daher z. B. beim Verfassen von Briefen auf
Wörterbücher angewiesen sind. In diesem Zusammenhang sind
natürlich Computer Gold wert: Man gibt die Lesung ein und bekommt sofort
die passenden Kanji zur Auswahl gestellt. Ohne diese Hilfe wäre ich
verloren. Zahlenmässig gesehen haben wir im Unterricht zwar schon um die
800 Kanji gelernt, mein tatsächlicher Verstehenswortschatz liegt aber etwa
bei 400-500, die Vorlesefähigkeit bei ca. 300 und meine
Schreibvermögen bei noch weniger. Es wird daher jetzt bestimmt auch
verständlich, dass man selbst nach einem einjährigen
Intensivsprachkurs, ohne Wörterbuch den Sinn von Zeitungsartikeln oder
Aufsätzen nur in groben Zügen verstehen kann.
Zum Schluss noch ein Beispiel für die Katakana-Schrift, die auch bei
ausländischen Namen eingesetzt wird:
© Mortimer v. Plettenberg