Kanji
TENNO NI DEAU (ZUFÄLLIGES TREFFEN MIT DEM KAISER)



Es stimmt wirklich: Noch immer erlebe ich jeden Tag Dinge in Japan, die mich überraschen und verwundern. Gestern hatte ich aber wirklich ein besonderes Erlebnis, daher hier ein Kurzbericht:

Mit meinem Mitbewohner Shu-san hatte ich die Vernissage einer goldschmiedenden Freundin besucht. Nachdem wir uns an dem wirklich herrlichen Schmuck im sündhaft teuren Ginza-Laden (teureren Boden gibt es auf der Erde nicht, mein Schuh bedeckt etwa 10.000 Dollar), beschlossen wir noch schnell bei der Auslosung der Fußballweltmeisterschafts-Gruppen im nahegelegenen Tokyo International Center vorbeizuschauen.
Es war schon recht spät am Abend, die Veranstaltung in vollem Gange, natürlich begleitet von umfangreichen Sicherheitsvorkehrungen. Mit der einem Gaijin eigenen Unverfrorenheit ging ich - zum grossen Schrecken Shu-sans - direkt auf die Security-Leute am Eingang zu und fing an für meinen Einlaß zu werben. Gerade wollte man beim Chef nachfragen, ob sich vielleicht tatsächlich was machen ließe, da kam Bewegung in die Uniformierten. Funksprüche waren zu hören, Kommandos schallten. Die Auslosung war soeben zuende gegangen, jetzt gab es natürlich keine Möglichkeit mehr hineinzukommen.

In Sekundenschnelle war der gesamte Eingangsbereich abgesperrt. Ich aber stand mit Shu noch mittendrin in der nun entstandenen Sicherheitszone, aus der uns niemand verwies, wohl weil sich keiner für uns zuständig fühlte. Da kamen auch schon die ersten Zelebritäten aus dem Gebäude und marschierten in Richtung der wartenden Busse, allen voran Hristo Stoitschkow (hier Pikusi genannt), der mittlerweile für den FC Nagoya spielt. Wir, die wir in unseren Business-Anzügen nicht weiter auffielen, hinterher. Als wir in Nähe der Busse kamen, fingen die wartenden Fans - ziemlich viele Mädels - wie die Wilden an zu kreischen. Pikusi winkte gnädig zurück und stieg ein. Ich winkte auch (das Geschrei war allerdings doch merklich gedämpfter). Sofort wurden wir gefragt, in welches Hotel wir denn wollten. Hier merkten wir, dass der Spass viel zu schnell zu enden drohte und gaben zurück, daß wir noch kurz warten wollten.
Einige Minuten und viele internationale Fußballstars später (ich erkannte im Gegensatz zu Shu nur einen Bruchteil), wurde die ganze Sache etwas langweilig und wir begaben uns zu den Werbepavillions der Austragungsstädte. Auch dort identifizierte man mich sofort als Profifußballer, was einem bei den wunderschönen koreanischen Hostessen natürlich ein paar Pluspunkte einbrachte.

Als wir auch von der Niigata-Hostess ein Stück Originalrasen des dortigen Stadions eingesammelt hatten und auf der Rolltreppe zurück Richtung Bus standen, passierte es plötzlich. Zuerst hatte ich den Herrn vor mir gar nicht wahrgenommen. Von seinem Gespräch bekam ich nur irgendetwas von "Bussen" mit, dann traf es mich wie der Blitz: Direkt vor mir auf der Treppe stand ... der Kaiser ... und schimpfte über die miese Organisation und wo denn die vermaledeiten Busse seien. Kein Wunder, die Ordner mit den Megaphonen erzählten zwar die ganze Zeit: "Zu den Bussen bitte hier entlang!" Aber es waren eben japanische Ordner und sie sprachen eben Japanisch. Und DIESER Kaiser war nun mal Bayer. Frau Beckenbauer versuchte ihren Gatten zu beruhigen, was nicht gelang. Schnellen Schrittes gingen die beiden zur falschen Tür hinaus. Ich wollte gerade noch ein "Herr Beckenbauer, Ihr Bus steht da drüben!" einwerfen, als Kaiser Franz auch schon die Tür eines Taxis aufriß (was wegen der Türöffnungsmechanik, die normalerweise vom Fahrer bedient wird, diesem in Hüfthöhe einen ziemlichen Schlag versetzt haben mußte) und in der Unendlichkeit des Tokyoter Verkehrsstaus entschwand.

Shu und ich gaben den Fans noch ein paar Autogramme und fuhren anschließend mit der S-Bahn nach Hause.

© Mortimer v. Plettenberg



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