Und dann kommen die verschiedenen Sprachformen des Respekts, die man in bestimmten Situationen verwendet. Hierbei handelt es sich im Prinzip um drei verschiedene Spracharten. Schlüssel zum Treffen des richtigen Tons ist der Rang, den Sprecher, Hörer und der, über den gesprochen wird, bekleiden. Dieser ergibt sich - in dieser Reihenfolge - aus: der Stellung innerhalb einer Organisation, dem Alter, der Anciennietät, einem Schuldverhältnis (auch ideell), dem Bekanntheitsgrad. Manchmal kann schon das zu Komplikationen führen, etwa, wenn man seinen Gegenüber nicht genau einschätzen kann. Hier helfen z. B. Visitenkarten, die einen in Japan erst zu einem richtigen Menschen werden lassen.
Hat man den Rang bestimmt, so kommen folgende drei Formen in Frage:
1. Mit der Ehrerbietungsform erhebt man den, von dem gesprochen wird, über sich selbst und redet "in höchsten Tönen" von ihm. Z. B. fragt man nicht: "Chef, kommen Sie morgen abend?", sondern "Herr Abteilungsleiter, würden Sie mich morgen Abend MIT IHRER ANWESENHEIT BEEHREN?"
2. Die Bescheidenheitsform wendet man auf alle Beschreibungen an, die einen selbst betreffen. Mit dieser Form stellt sich der Sprecher auf eine niedrigere Stufe als der, von dem gesprochen wird. Also nicht: "Ich komme morgen abend, Boss!", sondern "Ich ERLAUBE MIR morgen abend zu kommen, Herr Abteilungsleiter".
3. Schliesslich gibt es noch die Höflichkeitsform, die den Sprecher-Hörer-Bezug herstellt und jeweils auf eine höhere oder niedrigere Ebene stellen kann. Statt "Wann kann ich kommen?" fragt man den Chef "Wann wäre es Ihnen angenehm?".
Die Wörter für diese Formen unterscheiden sich vollkommen: So bedeutet z. B. "essen" eigentlich "tabemas" (Einfachform: "taberu"). Wenn der Boss isst, heisst es "meshiagarimas" (etwa: "speisen") und wenn man selber isst "itadakimas" (etwa: "verzehren").
Was hier nach relativ einfachen Regeln aussieht, kann im Alltag ganz erhebliche Schwierigkeiten auslösen, z. B. wenn eine Sekretärin dem Boss einer fremden Firma sagen will, dass Ihr Boss ihn im Konferenzraum erwartet. Eigentlich redet man natürlich über den eigenen Boss in der Ehrerbietungsform (statt "Mein Boss hat gesagt" heisst es "Mein Boss hat mich wissen lassen..."). ABER: Wenn man als Gruppe, bzw. Firma nach aussen auftritt werden alle Mitarbeiter, egal wie hochgestellt, auf die Bescheidenheitsform heruntergeschraubt (etwa "Mein Boss hat gemeint...").
Damit ist aber erst die erste Hälfte des Satzes geschafft: Eigentlich müsste die Sekretärin ja den Wunsch Ihres Bosses in der indirekten Rede wiedergeben. Der hat mit Ihr, als Untergebener innerhalb einer Organisation aber in der Einfachform geredet ("soll reinkommen"). Sie muss den Wunsch jetzt wieder in die richtige Form 'transponieren' und sagen "Mein Boss hat gemeint, Sie mögen ihn mit Ihrer Anwesenheit beehren!"
Der Anfang klingt vielen japanischen Ohren etwas zu hart, so dass 50 % der Japaner in einem Test die Form "Mein Boss liess mich wissen..." benutzten. Klingt gut, ist aber leider komplett falsch! Kein Wunder, dass es extra Sprachkurse für Mitarbeiter im Kundenbereich gibt.
Noch komplizierter wird es mit Briefen, weil hier neben korrekten Sprachformen auch noch bestimmte äussere Formalia und inhaltliche Floskeln verwendet werden müssen, etwa der Bezug auf Wetter und Jahreszeit im ersten Satz. Da die Theorie viel zu langweilig ist, hier ein fertiges Endprodukt, ein Brief an den Grossvater, der im Krankenhaus lag. Hier habe ich versucht, alle Register der Respektsform zu ziehen. Leider lässt es sich nur mit Schwierigkeiten ins Deutsche zurückübersetzen:
" Bezeugung meiner tiefen Verehrung
In diesen Zeiten schneidender Kälte, da sich der erhabene Fuji-san noch ganz in seinem weissen Umhang zeigt und Frühling nur mehr ein von fern klingender Name ist:
Vernommen habe ich, dass Sie kürzlich einem Arzt die Ehre einer Konsultation zuteil werden liessen und geruhten ein Hospital mit Ihrer Anwesenheit zu beehren. Meine bescheidene Vorstellungskraft genügte nicht dies zu glauben, weil Sie doch immer kräftig und frisch zu sein pflegen.
Wollen Sie bitte meine Unhöflichkeit entschuldigen, dass ich nicht früher davon gehört habe. Ich erlaube mir vorlauterweise zu vermuten, dass Sie sich nur wenig schonten und sich zuviel Arbeit angedeihen liessen.
Ich war aber zwischenzeitlich dazu in der Lage mich davon überzeugen zu können, dass Ihre werte Gesundheit wieder der Besserung entgegenstrebt. Ich hoffe, Sie mögen frühzeitig wieder zur Gänze hergestellt sein und zukünftig Ihrem erhabenen Körper mehr Aufmerksamkeit zuteil werden lassen, auf dass das Schicksal Sie in Zukunft nicht mehr zu überraschen vermöge.
Sollte mir die Möglichkeit vergönnt sein, gilt mein Streben einem Besuch bei Ihnen, so Sie mir die Ehre eines Empfanges entbieten. Doch augenblicklich bleibt mir nur die armselige Möglichkeit meine nichtsnutzigen Genesungswünsche mittels eines unvollkommenen Briefes zu übermitteln.
Siebenundzwanzigster Tag des zweiten Monats
Mortimer
Dem ehrenwerten Grossvater "
© Mortimer v. Plettenberg